Liberale Demokratie in Gefahr
- Adolf L. Pohl
- 21. Aug. 2022
- 2 Min. Lesezeit
Die liberale repräsentative Demokratie ist eine sehr anspruchsvolle Regierungsform von hoher gesellschaftlicher Komplexität. Sie ist ein ausdifferenziertes Regierungssystem, das auf dem Willen und der Zustimmung der Regierten („Volkssouveränität“) beruht, dessen Institutionen sich an die Rechtsstaatlichkeit halten, die Menschenrechte achten und gegenüber allen Bürgern (Citoyens[1]) rechenschaftspflichtig sind. Sie ist ein Netz von sich gegenseitig verstärkenden Strukturen, welche die Machtausübung inner und außerhalb des Staates durch unabhängige Gerichte, eine unabhängige Presse und die Zivilgesellschaft kontrollieren lassen. Demokratie funktioniert nur im Einvernehmen, nicht durch Unterdrückung und Zwang. Allgemeiner Friede und Gemeinwohl gehören zusammen.

Die moderne Demokratie entstand als Projekt der Radikalaufklärung[2] (1650-1790), die für individuelle Freiheit, Meinungsfreiheit und gegen Religionszwang (Theokratie) eintritt. Immanuel Kant bezeichnet die Aufklärung als „das eigentliche Zeitalter der Kritik, der sich alles unterwerfen muß“ (Fußnote in Kants Vorrede zur Kritik der reinen Vernunft, 1. Auflage 1781[3]). Die Radikalaufklärung beseitigte jede Rechtfertigung für die Vorrechte von Aristokratie, kirchlicher Autorität, Monarchie, Sklaverei und Unterdrückung. Sie ersetzte diese durch die modernen Grundsätze von Demokratie, Freiheit, Gleichwertigkeit, Menschenwürde und Universalität.
Demokratie, Freiheit und Würde sind jedoch Begriffe, deren kulturelle, politische, rechtliche und soziale Bedeutung sich im Lauf der Geschichte oft veränderte (vgl. attische, autoritäre, bürgerliche, illiberale und Volks-Demokratie). „Wird dem einzelnen Menschen die Selbstbestimmung abgenommen, besteht kein Grund mehr, die Demokratie und die Wahl zwischen alternativen Parteien aufrechtzuerhalten[4].“ Die liberale repräsentative Demokratie ist deshalb von entscheidender Bedeutung bei der Einführung unterschiedlicher politischer und sozialer Ansichten (Bundesstaat, Mehrparteiensystem, Pluralismus, Volksrechte), der Menschenrechte und der Toleranz. Nur wenn alle – unabhängig von Bildung, Glaube, Herkunft, Ideologie, Rang und Vermögen – gleichberechtigt und offen zusammenleben, entsteht ein demokratischer Mehrwert für alle: ideell, kulturell und ökonomisch.
[1] Citoyen ist jeder Staatsbürger, der in der Tradition und im Geist der Aufklärung aktiv und eigenverantwortlich am Gemeinwesen teilnimmt und dieses mitgestaltet. [2] ISRAEL Jonathan I (2002): Radical Enlightenment. Philosophy and the Making of Modernity 1650-1750. Oxford: Oxford University Press, 866 p. JACOB Margaret C (2006): The Radical Enlightenment, Pantheists, Freemasons and Republicans. Second Revised Edition. New Orleans: Cornerstone Book Publishers, 304p. ISRAEL Jonathan I & MULSOW Martin (2014, Hrsg.): Radikalaufklärung. Berlin: Suhrkamp Verlag, 277 S. [3] https://www.projekt-gutenberg.org/kant/krva/krva001.html. [4] GRAF Herbert (2017): Von der Demokratie zur Agonie. Berlin: edition ost, 328 S.
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